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Das mittelalterliche Neuss

Das mittelalterliche Stadtbild

Wenn man die Neusser Stadtansichten des 16. und 17. Jahrhunderts betrachtet, die die Stadt nach der Vorlage von Franz Hogenberg aus der Vogelperspektive zeigen, fällt besonders die gradlinige und klare Straßenführung auf, die man bei anderen mittelalterlichen Städten nicht in der gleichen Weise findet.

Dies ist nun nicht eine die Wirklichkeit retuschierende Stilisierung des Kupferstechers, vielmehr erweckt ein Gang durch die Altstadt auch heute noch den gleichen Eindruck.

Aus dieser klaren Linienführung lassen sich, wie wir sehen werden, verschiedene Stufen der allmählichen Stadtwerdung ablesen.

Mit der Breitseite ans Flussufer angelehnt, wird die Stadt in einem sich nach Süden stark verjüngenden Halbkreis von einer starken Befestigungsmauer umgeben. Hauptachse dieses birnenförmigen Stadtgebietes ist der Straßenzug Oberstraße Büchel Niederstraße. Durch ihre schnurgerade Linienführung und die zu beiden Seiten gefundenen römischen Brandgräber erweist sich diese Straße als Teil der alten von Novaesium nach Castra Vetera führenden Römerstraße.

Durch sie wird die Stadt in zwei ungleiche Hälften geteilt. Der größere westliche Teil wird durch sieben rechtwinklig an die Hauptstraße ansetzende Querstraßen (Mühlengasse, Minderbrüdergasse, Moerengasse, Klarengasse, Gasthausgasse, Stubengasse, gebrannte Gasse), eine vom Hamtor zum Südende der Stadt geschwungene Längststrasse (Hinter den Minderbrüder Hinterhoven) und den Wallgang in ziemlich regelmäßige Straßenblöcke abgeteilt.

Diese Regelmäßigkeit der Felder und die große Zahl der freien Flächen und Gärten machen deutlich, dass dieser Stadtteil einer jüngeren, planvollen Ausbauperiode angehört. Der kleinere östliche Teil der Stadt zeigt dagegen eine weitaus stärkere Bebauung und wird durch den rundlich-geschlossenen Stiftsbereich rund um St. Quirin in einen keilförmigen Südteil und einen den Viehmarkt umschließenden Nordteil dreigeteilt.

Die vielen freien Plätze, die die dünne Besiedlung aufweisen, und das Wissen darum, dass ein Viehmarkt immer am Rande der Stadt lag, lassen den Schluss zu, dass dieses Viertel auch erst mit der Ummauerung der Stadt im 13. Jahrhundert in den eigentlichen Stadtbereich einbezogen wurde.

Während der Stiftsbereich durch Markt, Büchel und Glockhammer, der sich dann zur Rheinstraße und zur Straße auf dem Ufer gabelt, völlig in sich abgeschlossen und vor der übrigen Stadt herausgehoben ist, weist der anschließende, nach Süden keilförmig zulaufende Stadtteil eine auffallend dichte und wenig regelmäßig-planvolle Bebauung auf.

Nimmt man noch die neueren, gesicherten Ausgrabungsergebnisse hinzu, nach denen im Bereich zwischen Neu- und Zollstraße, Hymgasse und Michaelstraße die römische Zivilsiedlung Novaesium gelegen hat, die auch nach dem Untergang des römischen Lagers weiter fortbestand, wird klar, dass dieses Viertel der älteste Stadtteil von Neuss ist.

Von hier ausgehend, bildete die Stadt im heutigen Stiftsbezirk ein geistliches Zentrum, in dem, wie die archäologischen Befunde nahelegen, auch der Kölner Erzbischof als Stadtherr ein eigenes Gebäude errichtet hat.

Bei diesem südöstlichen Stadtteil fällt eine merkwürdige Straßenführung auf: gleichlaufend mit dem Flussufer liegen Hymgasse und Brückstraße parallel zueinander.

Während W. Bader keine Erklärung dazu gibt und den Namen Brückstraße von einer vermuteten Grabenbrücke ableitete, die einen rund um den Stiftsbezirk führenden Umfassungsgraben überbrückt hat, hat N. Bömmels diese auffallende Parallelität weitaus einleuchtender durch einen Vergleich mit der karolingischen Stadtanlage von Dorstat erklärt: diese parallelen Straßenzeilen entlang dem Flussufer deuten auf eine Siedlung von Kaufleuten am Schiffslandeplatz.

Am Flussufer löschten die Schiffe ihre Ladung. Solch ein Stapelplatz hieß im damaligen Sprachgebrauch Brücke. Daher hieß auch die Straße zwischen dem Flussufer und der Häuserfront Brückstraße. An der Rückfront dieser Häuserzeile verlief eine weitere, parallele Straße, die Hymgasse, wodurch man von hinten an die Lagerhäuser der Brückstraße herankommen konnte, ohne den Stapelbetrieb an der Vorderfront zu stören.

Es war also eine Art Einbahnstraßensystem, durch das wohl über die ßrückstraße der Verkehr von der Stadt zum Stapelplatz und über die Hymgasse der Verkehr vom Stapelplatz in die Stadt geleitet wurde. Die Hauptfahrtrichtung verlief in Richtung Trankgasse - Oberstraße, weil die schweren Gespanne durch diesen weiten Bogen am leichtesten den steilen Anstieg vom Flussufer zum Büchel bewältigen konnten.

Dieses Gebiet zwischen Oberstraße und Flussufer ist wohl das Zentrum des Wiks, der Kaufmannssiedlung, gewesen, die 1021 als „portus" bezeichnet wird. Jetzt wird auch klar, warum das Viertel jenseits der Hauptstraße so dünn bebaut war.

Dort wohnten keine Kaufleute und Schiffer, die jede freie Stelle für den Warenhandel nutzen mussten, sondern dort waren die Häuser der Ackerbürger mit ihren Gärten, weil sie nämlich von dort am leichtesten zu ihren Feldern außerhalb des eigentlichen Stadtbezirks gelangen konnten.

Bei dieser Verteilung hatten die kleinen Händler und Handwerker ihren Platz rings um den Markt und am Rande des geistlichen Zentrums.

Als später der Rhein allmählich weiter von der Stadt wegwich, musste auch der Schiffs-Landeplatz immer weiter rheinabwärts verlegt werden und die Gespanne dürften wohl z. T. von der Hymgasse am Kaufhaus und der Stiftsimmunität vorbei über die Straße „auf dem Ufer" zum Hauptlandeplatz am Kranen gefahren sein. Gleichzeitig dehnte sich die Stadt auch nach Norden aus und erreichte so ihre größere Längsausdehnung.

Als dann im 13. Jahrhundert Neuss durch die Befestigungsmauern gesichert wurde, bezog man die jüngeren Ausbauten im Norden um den Viehmarkt und den weiträumiger bebauten und daher nun auch für eine planvoll-regelmäßige Straßenanlage geeigneten Stadtteil westlich der alten Römerstraße mit ein und schuf so das uns vom Hogenberg-Stich bekannte mittelalterliche Stadtbild von Neuss.

Wenn wir nun im folgenden versuchen, gleichsam einen Spaziergang durch das mittelalterliche Neuss zu machen, so weit es in der heutigen Altstadt noch erkennbar ist, können wir uns der oben angedeuteten Viertelbildung bedienen: der Stiftsbereich rund um St. Quirin, das Obertorviertel östlich der Oberstraße, das Zolltorviertel westlich der Oberstraße bis zur Klarengasse, das Niedertorviertel westlich der Niederstraße, das Rheintorviertel östlich der Niederstraße.

Diese Einteilung stimmt nicht überein mit den mittelalterlichen Stadtquartieren oder Kirchspielen, die, 1460 erstmals genannt, für die Bildung der Wachmannschaften und die Wahl der Vierundzwanziger wichtig waren.

Die Anzahl dieser Quartiere war seit alters her auf sechs festgesetzt (Hamtor-Kirchspiel, Judensteg-Kirchspiel, Niedertor-Kirchspiel, Obertor-Kirchspiel, Rheintor-Kirchspiel, Zolltor-Kirchspiel) und begann erst auf Grund der verringerten Bürgerzahl im 17. Jahrhundert zu schwanken und wurde 1698 auf vier festgelegt.

 


 

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Großbrand 1898

 

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