Alles hat seine Vorgeschichte. Wie kommt es, dass sowohl der Festausschuss Kölner Karneval als auch der Neusser Bürger-Schützen-Verein im Jahr 1823 als Dachverbände gegründet wurden? Untergliederungen, wie die Kölner Roten Funken einerseits und das Neusser Grenadierkorps sowie das Neusser Jägerkorps andererseits, gehen auf dasselbe Gründungsjahr zurück und konnten 1998 ihr 175jähriges Bestehen feiern.
Vom Grundsatz her lassen sich solche Gründungen auf drei Arten festlegen:
a) Neugründungen
b) Abspaltungen von bestehenden Vereinen
c) Wiederbegründungen früherer oder ruhender Vereine
Statistiken wissenschaftlicher Werke weisen nach, dass von der Anzahl her Vereinsgründungen obiger Art in den ersten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts nicht über den Durchschnitt hinausragen.
Betrachtet man die rheinischen und westfälischen Vereinsgründungen in der Zeit zwischen 1789 und 1938, so gibt es Schwerpunkte in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, dann wieder in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts, vor allem aber nach dem Ersten Weltkrieg, mit deutlichen Spitzen in den 20er Jahren.
Auf Neuss bezogen, ist unbestritten, dass es längst vor 1823 ein Schützenwesen gab. Insofern kann man nicht unbedingt von einer Neubegründung reden, es handelte sich aber genauso wenig um eine Wiederbegründung als um eine klassische Abspaltung von einem bestehenden Verein.
Per saldo ist also festzustellen, dass die noch in heutiger Form bestehenden Schützenvereinigungen, die auf eine so lange Tradition zurückblicken können, ihre eigene Entwicklung nahmen und nicht nach einem bestimmten Schema einsortiert werden können.
Viele Vereine legen naturgemäß großen Wert darauf, ein hohes Alter ihres oder ihres Vorgängervereins nachweisen zu können. Die ältesten Quellen liegen in diesem Zusammenhang bei der Scheibenschützen-Gesellschaft einer früheren Sebastianus-Bruderschaft vor, die auf das 15. Jahrhundert zurückgeht.
Manchen rheinischen Vereinen kam es beim Hinweis auf Vorgängerorganisationen auf die Einräumung von Sonderrechten oder die Beibehaltung von Privilegien gegenüber städtischen oder staatlichen Behörden an.
Aus politischen oder weltanschaulichen Gründen waren zu den verschiedensten Zeiten Vereine aufgelöst oder verboten worden, wobei es sich teilweise um gesetzwidrige Verfügungen handelte. Oftmals gingen derartige Verbote mit Enteignungen von Grundbesitz, Vermögen oder jährlichen Sach- und Geldprämien einher.
Auch heutige Rechte des Neusser Bürger-Schützen-Vereins, finanzielle und Sachzuwendungen von der Stadt Neuss zu erhalten, stammen aus früheren Festlegungen, sodass es sich keinesfalls um "Wohltaten" oder "freiwillige Zuwendungen" handelt, wie manche Kräfte mit geringem Geschichtsbewusstsein es gerne sehen würden.
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Ebenso wie private Gruppierungen gelegentlich Sport treiben, ohne Sportverein sein zu wollen, wurden auch Königsschießen und Schützenfeste nicht nur von Schützenvereinigungen durchgeführt.
Grundlage des Neusser Schützenwesens sind eindeutig kirchliche Bruderschaften, die kirchliche und gesellige Bräuche pflegten und in deren Mittelpunkt mit Sicherheit nicht Waffenübungen oder ähnliches standen.
So hatten eben auch die jubilierenden Neusser Jäger und Grenadiere ihre Geschichte, bevor es 1823 zur offiziellen Gründung kam.
Man kann dies mit der Vorgeschichte vieler Schützenzüge vergleichen, die sehr oft in Klassengemeinschaften, Kollegenschaften von Firmen oder Freundschaften aus diversen Vereinen bestehen. Irgendwann kommt dann einmal der Gedanke auf, sich nach bestimmten Kriterien in einem vorgegebenen Rahmen zu organisieren.
Zum Glück blieben den Neusser Gründervereinen konfessionelle Auseinandersetzungen erspart. Vielerorts, wie in Langenfeld oder Rösrath, war evangelischen Christen die Aufnahme in bestehende Bruderschaften verwehrt, sodass diese eigene, in der Regel konfessionell unabhängige, Schützenvereinigungen schufen.
Bekanntlich haben wir es in Neuss sowohl beim Dachverband der Schützen, dem Neusser Bürger-Schützen-Verein, als auch bei den großen Korps nicht mit Bruderschaften zu tun, wenn auch ein bruderschaftlicher Hintergrund zur Gründung führte.
Später hinzugekommene Korporationen, wie der Zug der Neusser Scheibenschützen oder die Hubertusschützen, pflegen den Bruderschaftsgedanken in einer relativen Offenheit.
Zusammenfassend bleibt zu diesem Kapitel also festzuhalten: Aus Gemeinschaften, die sich Ende des 18. Anfang des 19. Jahrhunderts, vor allem in den Jahren 1801 bis 1803 bildeten, entwickelte sich der Wunsch, Schützenvereine in einer bestimmten Organisationsform zu gründen.
Sicherlich hat die napoleonische Besatzungszeit hierzu einiges beigetragen.
Letztlich fällt aber das Gründungsjahr 1823 nicht in eine typische Phase der Begründung rheinischer oder westfälischer Schützenorganisationen. Von daher sind wohl auch die Parallelitäten mit Kölner Vereinigungen mehr zufällig.
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