Das Neusser Judentum

Erste schriftliche Hinweise darauf, dass Juden in Neuss gelebt haben, stammen aus dem Jahre 1197, und zwar von dem Juden Efraim, der über eine Verfolgung berichtete, der er nur durch Zufall entgangen war; zu dieser Zeit muss also bereits eine jüdische Gemeinschaft in Neuss bestanden haben.

Vor 1300 lebten die Neusser Juden in der Nähe des späteren Hessentors am „Judensteg“, später im Glockhammer, wo sich im 15.Jahrhundert auch ihre Synagoge befand.

In den folgenden Jahrhunderten finden sich nur relativ wenige Belege über in Neuss lebende jüdische Familien; in der Mitte des 14. Jahrhunderts sollen auch Neusser Juden den Pestpogromen zum Opfer gefallen sein.


Stadtansicht Neuss um 1835 Quelle: Stadtarchiv Neuss


Dass die mittelalterliche jüdische Gemeinde in Neuss nicht ganz unbedeutend gewesen sein muss, wird daraus ersichtlich, dass in zahlreichen deutschen Städten Juden aus Neuss erwähnt wurden.

Mitte des 15.Jahrhunderts wurden die Juden aus Neuss vertrieben; auch durchreisende Juden durften sich nur tagsüber nach Zahlung einer Geleitsgebühr innerhalb der Mauern aufhalten; zeitweilig war Juden das Betreten der Stadt ganz verboten.

Dieses Verbot blieb bis 1794 bestehen.

Im 17. und 18.Jahrhundert lebten vereinzelt jüdische Familien im ländlichen Umland, so in Grevenbroich, Glehn, Jüchen und anderswo; ihren Lebensunterhalt verdienten sie im Vieh- und Getreidehandel, aber auch im Handel mit Textilien.

Erst 1808, unter französischer Herrschaft, durften sich Juden wieder innerhalb der Mauern von Neuss niederlassen.


Ehemalige Neusser Synagoge Quelle: Neusser Stadtarchiv


Ihren ersten Betraum richtete die kleine jüdische Gemeinschaft um 1815 im Hause eines Gemeindemitgliedes in der Neustraße ein.

Der Bau einer eigenen Synagoge zog sich - wegen finanzieller Schwierigkeiten - bis Mitte der 1860er Jahre hin; im März 1867 wurde die neue repräsentative, nach Plänen des königlichen Baurates Friedrich Wilhelm Weise im orientalischen Stile erbaute Synagoge an der Promenade eingeweiht.

Viele Honoratioren der Stadt nahmen an den Einweihungsfeierlichkeiten teil.



Aus einer Beschreibung der Synagoge: „Die zinnen geschmückte Fassade, in rötlichem und hellem Sandstein gehalten, wurde von zwei Zwiebeltürmchen überragt.

Ein großes Rundfenster beherrschte den Mittelteil; zu beiden Seiten dieses Rundfensters befanden sich schmale, hohe Fenster ... Über dem großen Rundfenster war ein Davidstern zu sehen; Davidsterne aus vergoldetem Metall zierten auch die Spitzen aller Zwiebelhauben.

Über dem Portal waren eine hebräische Inschrift und Nachbildungen der Gesetzestafeln angebracht ...“ (aus: Stefan Rohrbacher, Juden in Neuss, Verlag Galerie Küppers, Neuss 1986, S. 106)


Die Synagogengemeinde Neuss konstituierte sich offiziell 1858. Gottesdienste wurden zum damaligen Zeitpunkt noch nach orthodox-religiösem Ritus abgehalten; erst Ende des 19.Jahrhunderts gewannen liberale Strömungen in der Gemeinde an Einfluss.

Kurz nach der Synagogenweihe richtete die Gemeinde im Gebäude gegenüber der Synagoge eine eigene Elementarschule ein; 15 Jahre später erbaute man dann ein eigenes Schulhaus, das bis 1913 existierte.

Der jüdische Friedhof lag an der Straße nach Heerdt, in der Nähe der Barbara-Kapelle; dieser wurde 1890 geschlossen und eine neue Begräbnisstätte am Glehner Weg – in direkter Nachbarschaft zum 1873 angelegten kommunalen Friedhof - eröffnet.

Der alte Friedhof wurde 1920 aufgelassen und die dort befindlichen Grabsteine auf das Areal am Glehner Weg versetzt.


In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts lebten die Neusser Juden fast ausnahmslos in ärmlichen Verhältnissen; danach verbesserte sich insgesamt ihre wirtschaftliche Lage, da nun mehr Juden als Kaufleute arbeiteten.

Ende des 19.Jahrhunderts war die Zahl der jüdischen Viehhändler und Metzger noch relativ hoch; daneben spielte auch Getreidehandel eine Rolle. Um 1900 gehörten die meisten jüdischen Familien der Stadt zum Besitzbürgertum; mehrheitlich waren sie nun Inhaber von Einzelhandelsgeschäften.

Zu den wohlhabendsten Stadtbürgern gehörten die Gebrüder Simons, Inhaber einer Mehl- und Ölmühle.


Markttreiben auf dem Münsterplatz um 1900 Quelle: Neusser Stadtarchiv


Unter der im Rheinland um 1890 planmäßig entfachten antisemitischen Hetze, die teilweise zu schweren Ausschreitungen führte, hatten auch die Neusser Juden zu leiden.

Infolge der ständigen Anfeindungen verließ fast ein Viertel der jüdischen Einwohner die Stadt.

Auch wenn ihre Anzahl deutlich zurückgegangen war, spielten noch in der Zeit der Weimarer Republik die Neusser Juden im Wirtschaftsleben der Stadt eine gewichtige Rolle.

Bereits vor der NS-Machtübernahme kam es in der Stadt Neuss zu ersten antijüdischen Übergriffen. SA-Angehörige misshandelten einzelne Juden auf offener Straße; vor allem Gottesdienstbesucher wurden oft belästigt.

Mit dem reichsweit durchgeführten Boykott am 1. April 1933 begann auch in Neuss die wirtschaftliche Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung.

Um die Neusser Einwohnerschaft auf den Boykott einzustimmen, hielt die NSDAP - nach einem Marsch der SA und SS durch die Straßen der Stadt - am Abend des 31. März 1933 eine Kundgebung auf dem Marktplatz ab, bei der NSDAP-Kreisleiter Erich Börger den „Abwehrkampf des deutschen Volkes” zu begründen versuchte.

Hatten 1935 noch 28 jüdische Geschäfte bestanden, so reduzierte sich ihre Zahl immer mehr; Ende 1938 war die „Arisierung“ jüdischer Geschäfte abgeschlossen:


Ab dem 6. November 1938 durften jüdische Viehhändler als eine der letzten Berufsgruppen im Gebiet der Kreisbauernschaft Mönchengladbach-Grevenbroich-Neuss nicht mehr tätig sein, wie der „Rheinischen Landeszeitung“ von diesem Tag zu entnehmen war.

Immer mehr Juden verließen Neuss und verzogen nach Köln oder Düsseldorf; auch die Zahl der Emigranten wuchs.

Nach telefonischer Anweisung durch die Düsseldorfer NSDAP-Gauleitung begannen in der Nacht vom 9./10.November 1938 die „Judenaktionen“.

Einheimische SA-Angehörige - unterstützt durch Düsseldorfer SA - drangen in die Synagoge in der Promenadenstraße ein, verwüsteten die Innenräume und setzten danach das Gebäude in Brand; die herbeigerufene Feuerwehr schützte nur das Nachbargebäude.

(Anm.: 1939 wurde das Synagogengrundstück an die „Gemeinschaft der barmherzigen Schwestern“ verkauft; wenig später ging das Grundstück in städtischen Besitz über, da hier ein Hochbunker gebaut werden sollte.)

Auch die wenigen jüdischen Geschäfte und zahlreiche Wohnungen wurden demoliert, ihre Bewohner gedemütigt und auch geschlagen. Etwa 30 Neusser Juden wurden verhaftet, ins Düsseldorfer Gerichtsgefängnis überführt und von dort ins KZ Dachau verfrachtet.

Nach dem Pogrom wurden die jüdischen Einwohner weiter ausgegrenzt. Mehr als 60 Juden verließen nach der „Kristallnacht“ bis Kriegsbeginn ihre Stadt; die meisten emigrierten.

Im Frühherbst 1939 wurden die etwa 90 in Neuss verbliebenen, meist älteren Juden in „Judenhäuser“ einquartiert und von der übrigen Bevölkerung weitgehend isoliert; von hier aus wurden sie Ende Oktober bzw. im Dezember 1941 in die besetzte Gebiete Osteuropas deportiert; nur zehn Juden blieben in Neuss zurück, aber auch diese wurden Mitte 1942 deportiert.

Nach Kriegsende bildete sich in Neuss keine neue jüdische Gemeinde; die in Neuss lebenden Juden gehören zur Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.


In der Promenadenstraße befand sich seit 1953 an der Außenmauer eines Hochbunkers aus dem Zweiten Weltkrieg - dort stand früher die Synagoge - eine Gedenktafel, die an die jüdischen NS-Opfer von Neuss erinnert; die Tafel wurde 1989 durch eine andere ersetzt.

Ein kompaktes steinernes Mahnmal an der Promenade – erstellt vom Künstler Ulrich Rückriem - erinnert seit 1995 an die einstige Synagoge und an die ausgelöschte israelitische Gemeinde.


Quelle: Stadtarchiv Neuss

Fortsetzung folgt ...


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